Pädagogik
Neue (systemische) Autorität

„Keine Er-Ziehung ohne Be-Ziehung“, so lautet ein alter Spruch aus der pädagogischen Ausbildung. Deswegen stellen wir Beziehung in den Vordergrund – zu „unseren“ Kindern und Jugendlichen, zu den dazu gehörenden Bezugspersonen, zu unseren Kolleg*innen und Kooperationspartner*innen und letztlich zu uns selbst. Die sogenannte „Neue (oder auch: systemische bzw. verbundene) Autorität“ ist das prägende pädagogische Haltungs- und Handlungskonzept für uns Verantwortliche in den Bereichen Erziehung, Therapie und Führung.

Autorität durch Beziehung

Statt auf Macht und Strafe (= herkömmliche Autorität) baut das Konzept „Neue Autorität“ auf Beharrlichkeit und Präsenz in der Beziehung bzw. in der Wiederherstellung von Beziehung auf.

So, wie das Konzept hier dargestellt wird, geht es zurück auf Lemme & Körner (2021), die für uns zum Mentor geworden sind.

Die Absicht ist die Seele der Tat

Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht dabei die Stärkung der Präsenz und des Selbstbewusstseins von Eltern, Lehrkräften/Pädagog*innen und Führungskräften. Dabei geht es weniger darum, das Verhalten der als schwierig wahrgenommenen Klient*innen zu verändern, sondern vor allem darum, dass wir selbst als die Verantwortlichen, z.B. für den ‚Prozess Erziehung‘, uns bewusst werden über unsere Rolle, unseren Auftrag und den Kontext. Wichtig ist, dass wir zu einer Klärung der eigenen Haltung kommen und so zu Entschiedenheit in Haltung und Handlung erlangen. Nur wenn wir entschieden handeln, können wir auch Widerständen unbeirrbar begegnen und beharrlich „dranbleiben“.

Wir können nur uns selbst kontrollieren

Aus der Systemtheorie wissen wir: Wir können andere Menschen nicht kontrollieren, wir können nur uns selbst kontrollieren. Deswegen beginnen auch alle Bemühungen einer Neuen Autorität zuallererst bei uns selbst. Ob sich aus unserem wohlüberlegten und entschiedenen Handeln die gewünschten Reaktionen bei anderen ergeben, steht auf einem anderen Blatt. Wir sind demgemäß auch nicht für ein (noch so erwünschtes) Ergebnis verantwortlich, sondern dafür, den pädagogischen Prozess dorthin so zu gestalten, dass eine Entwicklung möglich bzw. wahrscheinlich wird.

Im Transformativen Feld entsteht die Kraft zur Veränderung

Deswegen ist das sog. Transformative Feld zentral im Konzept Neue Autorität. Es entsteht im Zusammenspiel dreier Qualitäten, die zentralen Grundbedürfnissen des Menschen entsprechen und den dazu gehörenden Haltungen und Handlungen, um diesen Bedürfnissen zu entsprechen: Autonomie (durch Transparenz), Sicherheit (indem wir ein Gegenüber sind) und Verbundenheit (durch immer neue Kooperationsangebote).

Im Transformativen Feld:
• … handeln wir ohne Zwang und Gewalt. Mit klaren Verantwortlichkeiten und sicheren Abläufen sorgen dafür, dass wir für „unsere“ Minderjährigen und deren Bezugspersonen stets ein Gegenüber sind und es auch bleiben, selbst wenn es (für uns) schwierig wird. Dies tun wir durch Überzeugung und Beharrlichkeit im eigenen Handeln
• Wir setzen auf Beziehung und Zusammenarbeit, damit auch oder gerade bei Konflikten die Verbundenheit und das gegenseitige Verständnis erhalten bleiben können.
• Wir wollen die Autonomie aller Beteiligten bewahren. Dies wird ersichtlich, indem wir eine offene Kommunikation praktizieren, die für maximale Transparenz bei allen Beteiligten sorgt.

In der Beachtung aller drei o.g. Qualitäten entsteht eine neue Energie in Beziehungen, die Entwicklungen möglich machen kann, die zuvor nicht absehbar gewesen sind – Entwicklungen, die einen so großen Unterschied machen, dass sie einer Verwandlung, einer Transformation, gleichkommen – daher der Name Transformatives Feld.

Planvolles Gestalten gesunder Beziehungen ist ohne unsere Präsenz nicht vorstellbar

Das Ziel der Neuen Autorität besteht vorrangig in der Stärkung der Präsenz von Eltern, Pädagog*innen, Coaches wie Therapeut*innen und Führungskräften. Denn ohne Präsenz (beschreibbar auf sechs Dimensionen), können wir als Verantwortliche für den ‚Prozess Erziehung‘ unserer Verantwortung nicht gerecht werden – wir wären schlicht nicht greifbar. Planvolles Gestalten gesunder, d.h. wachstumsfördernder Entwicklungsbedingungen und Beziehungen zu „unseren“ Kindern ist ohne unsere Präsenz nicht vorstellbar.

Hilfen aus einer Hand

Werte der Neuen Autorität und Franziskanische Werte sind verschwistert

Zentrale Werte der Neuen Autorität, wie ein Gegenüber sein, Verbundenheit, Transparenz oder Autonomie sind mit den Werten, wie wir sie aus der Franziskanischen Wertesonne (Niklaus Kuster u.a., 2021) kennen, gewissenmaßen verschwistert: Ist doch auch dort mit Blick auf das Individuum von Freiheit, Kreativität und Selbstsorge die Rede; wenn es um das „Wir“ geht, werden Teamgeist, Augenhöhe und Gemeinschaftssinn genannt. Werden unsere Klient*innen adressiert, finden sich dort Werte, wie Gefährtenschaft, Sorgsamkeit und Ehrfurcht.

Frieden fängt im Kleinen an

In einem größeren Zusammenhang betrachtet, können die Haltungen und Handlungen des Konzepts Neue Autorität auch als persönlicher, individueller Beitrag zu einer friedlicheren Beziehungsgestaltung und damit als kleiner Beitrag zum Frieden insgesamt gesehen werden – denn, Frieden fängt im Kleinen an.

„Es hilft unendlich viel zum Frieden, nicht auf den anderen zu warten, bis er kommt, sondern auf ihn zuzugehen“ … (Richard v. Weizsäcker, 1985)